Flugbahn und Federflaum - Eine Rezension

"Allen Menschen, die wirklich Vögel beobachten und sie nicht nur sehen wollen, sei dieses Buch ans Herz gelegt."

Thomas Griesohn-Pflieger

Buchcover vom Buch Flugbahn und Federflaum von Bernd Heinrich

Es nicht sein erstes Buch, das in deutscher Sprache erscheint. Mich hat schon sein 2002 erschienener Titel „Die Weisheit der Raben“ sehr beschäftigt. Bernd Heinrich ist Wissenschaftler, Biologe. Einer, der sich als Privatmensch und Wissenschaftler mit vielerlei Fragen beschäftigt, aber immer wieder zur Leidenschaft seiner Jugend, nämlich dem Beobachten von Vögeln, zurückkehrt.
Wenn wir von Vogelbeobachtern sprechen, meinen wir hauptsächlich die Menschen, die mit Fernglas behangen durch die Landschaft schlendern, Vögel zählen oder einfach nur hinschauen und die Arten registrieren. Manche kartieren die Vorkommen der verschiedenen Arten und werten ihre Beobachtungen aus, um die Veränderungen (leider meist Abnahmen) der Bestände feststellen zu können.

 

Mit Bernd Heinrich lernen wir einen Vogelbeobachter kennen, der nicht nur einen zweiten Blick auf die Vögel wirft, sondern einzelne Individuen persönlich kennenlernen und ihr Verhalten verstehen möchte. Dafür klettert er auf Bäume, harrt stundenlang dort aus, stapft nächtelang durch tiefen Schnee und baut seine Wohnhütte im Wald um, um Spechte bei der Aufzucht ihrer Kindern genau beobachten zu können. Er will es genau wissen und weiß, dass dazu eine unendliche Geduld und genaues Beobachten gehört. Aber er weiß auch, dass wir nicht alles in den Kategorien des Verstandes eines fortgeschrittenen Primaten erklären können. Die Lebenswelten von Vogel und Mensch sind doch recht unterschiedlich und alles, was wir interpretieren und mutmaßen, ist durch unserer Sicht auf die Dinge und von unseren sehr bescheidenen sinnlichen Fähigkeiten geprägt. Das weiß Heinrich und akzeptiert, dass er auf manche Fragen keine Antworten findet.

 

Das Buch schildert in 17 Kapiteln, die jeweils einer Vogelart gewidmet sind, die Bemühungen des Autors seine „Beobachtungen“ zu verstehen. Da wo normale Vogelguckerinnen einen Haken machen, macht er ein Fragezeichen. Warum teilen Krähengruppen ihre Nahrung, aber die intelligenten Kolkraben nicht? Er wohnt in einer „Hütte“ am Rande einer Waldlichtung im US-Bundesstaat Maine und ist von Vögeln umgeben und ist ihnen sehr nahe, nicht nur räumlich, sondern auch mit dem Herzen, auch wenn er das nur selten merken lässt, sondern der Beobachter, der Wissenschaftler mehr im Vordergrund steht. Er lässt uns ausgiebig teilhaben an seinen oft anstrengenden Beobachtungen und Gedanken, seinen Interpretationen des Gesehenen und wir erleben dabei Sägekauz und Graukopfvireo, Kanadakleiber, Schwarzkopfmeisen, Purpur-Grackel, Streifenkauz und Breitschwingenbussard und zehn weitere Vogelarten. Wir erleben einen Feld-Forscher, wie er leidenschaftlicher kaum sein kann. Er schlägt sich Nächte um die Ohren, stapft stundenlang durch den winterlichen Wald, um das Geheimnis um die Schneehöhlen der Kragenhühner zu lösen und findet ein Rätsel nach dem anderen. Es geht um Kämpfe und um Liebe, Geburtenkontrolle, den Vorteil von Schwärmen und um Polyarmorie oder auch dem Gegenteil.

Birder beim Vogelbeobachten

Über Heinrich selbst erfahren wir wenig: Seine große Hingabe, seine leidenschaftliche Liebe für die Gefiederten verbalisiert er nicht, sondern zeigt sie durch seinen Wissensdurst, seine Rücksichtnahme beim Beobachten und beim Aufbau von Experimenten.

Die Texte werden begleitet von meist einer Porträtzeichnung des Autors und ergänzen den Text und seine Gliederung mit einer anderen Dimension, die der Hingabe und genauen Beobachtungsgabe des Autors widerspiegelt.

Eines sei aber auch gesagt, die langen Beobachtungsschilderungen, die seitenlangen genauen Beschreibungen des Gesehenen und die Fragestellungen des Autors können ungeduldigen Lesern einiges abverlangen. Sie zeigen aber andererseits anschaulich das Handwerk der Freiluft-Biologie, die ohne Laborexperimente auskommt, und lassen uns teilhaben am Eintauchen in die gefiederte Welt.

 

Eine Bemerkung am Schluss: Es gibt in Amerika keine Rotkelchen. Der im Buch als solches bezeichnete Vogel wird eine Wanderdrossel sein, die im Amerikanischen „Robin“ heißt, was im Englischen der Name für Rotkehlchen ist. Dies nur als Hinweis darauf, wie aufmerksam der Rezensent dieses Buch gelesen hat. Allen Menschen, die wirklich Vögel beobachten und sie nicht nur sehen wollen, sei dieses Buch ans Herz gelegt.

 

Rezension von Thomas Griesohn-Pflieger



Bernd Heinrich, Judith Schalansky (Hg.)

Flugbahn und Federflaum

Vom Beobachten wilder Vögel

238 Seiten, gebunden

Übersetzung: Ulrike Kretschmer

ISBN:978-3-7518-0216-1

Verlag:Matthes & Seitz Berlin, 2023

 

Preis: 34,00 €

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