Das besondere Erlebnis der Vogelzugbestimmung

Als leidenschaftlicher Ornithologe bin ich von Vogelbeobachtungen aller Art begeistert. Ganz besonders fasziniert bin ich jedoch von dem Vogelzug, wenn sich die Vögel in großen Gruppen zusammenschließen und lautlos in unterschiedlichen Formationen über unsere Köpfe hinweg fliegen. Mit der Zugvogelbestimmung der gefiederten Schönheiten so fern am Himmel habe ich dann jedoch meine Schwierigkeiten. So war ich dieses Jahr im Oktober wieder sehr überrascht, als ich von unserer lokalen Orni-Gruppe eine Nachricht bekam, dass in der Nähe von Freiburg ein guter Zug bei hoher Artenvielfalt zu sehen sei und man 21.000 Buchfinken, 400 Eichelhäher, 450 Singdrosseln und noch viele weitere Vogelarten erwartete. Das machte mich stutzig: Wie kann man die Zugvögel zählen? Wie erkennt man, ob da Kernbeißer oder Buchfinken fliegen?

Also bin daraufhin erst mal in unseren Garten gegangen, die Wolken hingen tief und ich habe eine halbe Stunde Zugvögel beobachtet. Und da war auch schon einiges los: Ich konnte Eichelhäher sehen, ziehende Rotmilane, große Gruppen Tauben und viele Trupps kleiner Singvögel. Aber welche Singvögel das waren, konnte ich beim besten Willen nicht erkennen. Ungeübte Vogelbeobachter wie ich können also einiges sehen, aber bis auf Artniveau bestimmen – da mangelt es an vielem, das musste ich erkennen. Damit dies nicht so bleiben würde, fragte ich bei unserer Orni-Gruppe nach, ob mich mal einer der "Profis" mitnehmen könne. Die Einladung zur Zugvogelbestimmung erfolgte sofort: Am Samstag, den 5. Oktober 2019 um 6:30 Uhr sollte es losgehen.

Meine erste Vogelzug-Planbeobachtung

Wichtig bei der Beobachtung eines Vogelzugs ist, dass man schon bei Sonnenaufgang am Beobachtungsort ist. Wir haben für die Beobachtung des Vogelzugs eine bei Birdern bekannte Stelle im Hochschwarzwald am Hotel Halde ausgesucht, weil hier eine Art "Trichter des Vogelzugs" ist. Dort wartete – bei herrlichem Beobachtungswetter – bereits Jan auf uns. Thermoskannen mit heißem Kaffee aus dem Rucksack geholt, Spektive aufgebaut, Ferngläser umgehangen und los ging's mit der Zugvogelbestimmung. Große Trupps Drosseln kamen als erste über den Berg. Jan und Jean-Yves sind erfahren und haben sofort Singdrosseln, Misteldrosseln und sogar Ringdrosseln erkannt. Ich habe auch gesehen, dass das Drosseln sind, aber die Art hätte ich nicht erkannt. Man erklärte mir geduldig, wie man die einzelnen Arten im Flug unterscheidet: Misteldrosseln sind groß und bauchig, Singdrosseln kleiner, länglicher und die Ringdrosseln haben nicht nur das weiße Brustband sondern auch helle Flügel. Auch die Rufe hat man mir vorgespielt. Jan hatte die meisten Zugrufe auf einem MP3-Player dabei und er hat auch Zugrufe damit aufgenommen, um sie später vergleichen und zuordnen zu können. Ein tolles Hilfsmittel!

Kranich Tunesien P. Eckhoff
Kranich (P. Eckhoff)
Goldregenpfeifer Deutschland Christoph Moning
Goldregenpfeifer (C. Moning)

Vogelbestimmung von Zugvögeln

Bei der Zugvogelbestimmung fokusiert man sich auf Körperhaltung, Flügelform, Fluggeschwindigkeit, Flugbewegung, Flügelschlagfrequenz, aber auch die Truppform und Truppdichte sind wichtige Anhaltspunkte, auf die mich Jan und Jean-Yves aufmerksam gemacht haben. Selbst die Uhrzeit gibt Anhaltspunkte für Artbestimmung. Heidelerchen kommen zum Beispiel immer später als die Feldlerchen. Ein weiteres sehr wichtiges Merkmal sind die Zugrufe. Jan beherrscht sie perfekt. Jean-Yves ist schon sehr weit fortgeschritten und ich bin absolter Anfänger. Jeder Vogel hat nämlich einen spezielle Ruf, den er beim Vogelzug benutzt. Man kann diese lernen, es gibt CDs, aber besser sind scheinbar Apps, die man inzwischen auf dem Handy speichern kann ("Stimmen der Vögel").  Die Profis erstellen sich eigene Datenbanken aus der Online Datenbank Xeno-Canto. Und es bedarf wie so oft der Übung, Übung und nochmal Übung, idealerweise mit erfahrenen Beobachtern. Aber wenn man dann seine erste Trupps richtig bestimmt hat und zwischendurch auch mal der Adrenalinspiegel steigt, wenn eine Seltenheit vorbeikommt – bei uns waren das ein Rotkehlpieper, zwei Merline, Wanderfalken, Heidelerchen und ein Steinschmätzer – dann fängt es an, Spaß zu machen. Auch wenn nach drei Stunden langsam die Kälte durch die langen Unterhosen kriecht. Dafür freut man sich dann umso mehr auf einen heißen Kaffee und interessante Diskussionen zum Thema Vögel.

Mit hat es riesig Spaß gemacht und ich hoffe, ich kann wieder mal mitkommen, wenn es zur Zugvogelbestimmung geht. Wenn Ihr die Möglichkeit habt, mal an so einer Vogelzug-Planbeobachung teilzunehmen, dann macht es - man lernt wirklich viel dazu.

Viel Spaß bei der Beobachtung des Vogelzugs wünscht Euch
Rainer Stoll

PS: Tipps zur Zugvogelbeobachtung gibt es übrigens auch bei unseren Freunden vom NABU.

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